Treffen in Berlin mit Günther Schaefer – Von Daniela Larentis

Der deutsche Künstler war einer unter den Ersten, die die Berliner Mauer bemalten. Das Interview

Vaterland - East Side Gallery - By G. Schaefer.

Günther Schaefer ist ein Berliner Künstler, der im In-und Ausland sehr bekannt ist.
Als Kind, zurzeit als die Berliner Mauer gebaut wird, ist er gerade acht Jahre alt und sieht, wie seine Familie getrennt wird. Ein Teil verbleibt in Ost-Berlin und ein Teil im Westen der Stadt.
Das Eigentum seiner Familie ist in zwei Teile geteilt, eine Tatsache, die ihnen auch einen erheblichen wirtschaftlichen Schaden zufügt, ist in jeder Hinsicht eine absolute Katastrophe.
Als sein Großvater dafür sorgt, dass seine Schwestern, die im Osten verblieben sind, fliehen können, wird seine Familie angezeigt und er kann die DDR nicht mehr besuchen.
 
Seine Teenagerzeit verbringt er in Frankfurt, nach 1968 wird er Fotograf und in den achtziger Jahren reist er um die ganze Welt und organisiert bedeutende Ausstellungen.
Er gewinnt sehr bald einen großen Bekanntheitsgrad, zieht von New York nach Paris, Moskau, Jerusalem, Tripolis und vielen anderen Städten, reist sehr viel und kehrt 1989 wieder nach New York zurück. Als die Berliner Mauer fällt, beschließt er, nach Deutschland zurückzukehren, um zu dokumentieren, was passiert.
Auf der Ostseite der Mauer schafft er das «Vaterland», ein bekanntes Werk, das ihn überall berühmt macht.
 
Er erhält viele Auszeichnungen und viele renommierte Anerkennungen, trifft Persönlichkeiten wie Helmut Kohl, Miklós Németh und andere, organisiert 2004 eine hochkarätige Ausstellung, durch die er die Veränderungen der Stadt Berlin mit dem Titel «Berlin - Bilder aus zwei Jahrtausenden» erzählt.
Er zählt zahlreiche und namhafte Ausstellungen zu seinen Verdiensten. Er nimmt auch an der Gemeinschaftsausstellung «Il muro al muro» teil, die kürzlich in Trient in den herrlichen Räumlichkeiten des Torre Mirana veranstaltet worden ist.
Wir haben ihn in Berlin getroffen und das Privileg gehabt, ihm einige Fragen zu stellen.


 
Sie sind ein berühmter Fotograf und ein berühmter Maler. Wann sind Sie zum ersten Mal mit der Welt der Malerei in Berührung gekommen?
«Meinen ersten intensiven Kontakt mit der Malerei hatte ich bereits während meiner Ausbildung zum Photographen in Frankfurt a.M.
«Ich hatte das große Glück bei einem Künstlerehepaar diesen Beruf erlernen zu können. Meine photographische Schulung absolvierte ich bei einer Meisterin der alten Schule. Ihr Ehemann war ein Kunstprofessor a.D. Er schrieb etliche Künstlerbiographien und organisierte für die Stadt Frankfurt/M wichtige Ausstellungen.
«So begegnete ich in jungen Jahren bereits Künstlerpersönlichkeiten wie Christian Schad, Ernst Fuchs oder Alfred Hrdlicka. Dies hinterließ in mir einen bleibenden und prägenden Eindruck obwohl mein hauptsächliches Interesse in dieser Periode der Photographie galt.»
 
Und mit der Welt der Fotografie?
«Die Photographie packte mich mehr zufällig in den frühen 70iger Jahren. Ich befand mich in Urlaub auf Teneriffa als mir meine billige Amateur-Kamera ins Salzwasser fiel und nicht mehr zu gebrauchen war. In dieser Zeit konnte man auf den Kanarischen Inseln wegen günstiger Zollbedingungen preiswert Profi-Kameras erwerben. Ich kaufte mir von meinem letzten kleinen Reisebudget eine Minolta SRT 303. Mit dieser schoss ich zwei Filme a 36 Bilder. Zu dieser Zeit arbeitete ich als Offsetdrucker, das war mein erster erlernter Beruf.
«Ein Kunde bei der Druckerei wo ich tätig war, war ein Manager einer Werbeagentur. Er beobachtete wie ich meinen damaligen Kollegen in der Firma meine Teneriffa-Urlaubsphotos präsentierte… und er erwarb sofort von meinen vorhandenen 72 Photos, zirka 60 Bilder für seine Agentur um sie in einem Reiseprospekt zu publizieren.
«Ich war damals neunzehn Jahre alt. Von diesem Moment an änderte sich mein Leben völlig und ich begab mich auf einen Trip durch die faszinierenden Welten der Kunst. Eine Reise deren Ende bis heute immer noch nicht abzusehen ist weil ich damals zu meinem Taumberuf fand.»
 

Kathy Kreuzberg by G.Schaefer © 2014.
 
Was bedeutet Fotografie für Sie aus emotionaler Sicht?
«Exzellente Photographie ohne Emotion funktioniert meiner Meinung nach nicht. Denn sie würde sich ansonsten lediglich auf einen puren technischen Vorgang reduzieren. Ist der Photograph in der Lage, sein Empfinden, seine Leidenschaft in seine Arbeit zu projizieren, dann wird ein simples Bild zu einem Werk.
«Der Fachmann erkennt solche Dinge auf Anhieb, ein Laie spürt sie ohne sein Gefühl definieren zu können. Der tiefere Grund, die Emotion des Autors und des Betrachters treffen sich auf einer fast schon metaphysischen Ebene. Selbst wenn sie sich nicht kennen und noch nie begegnet sind. Auch dies ist ein ewiges, faszinierendes Rätsel der Kunst.»
 
Was fotografieren Sie normalerweise am liebsten?
«Schwerpunktmäßig steht stets der Mensch im Vordergrund meiner Bilderwelt oder auch die Spuren die er hinterlässt sind eines meiner bevorzugten Themen.
«Zum einem, während der Studioarbeit bin ich der Regisseur der die Abläufe frei arrangieren kann. Ebenso habe ich im Studio alle Zeit die ich zur Realisation für ausgefeilte Bildkompositionen und Ideen benötige. Es ist unter diesen Aspekten eine komfortable Arbeitsweise.
«Zum anderen, bei der Straßen-Photographie ist das Leben der Regisseur. Hierbei habe ich oftmals nur Sekundenbruchteile zur Verfügung um mit der Kamera reagieren zu können. Dies geschieht im Bewusstsein, dass sich solch eine Gelegenheit niemals wieder ergeben wird. Ergo, Wiederholungen sind ausgeschlossen. Die Magie des Augenblicks muss sofort eingefangen werden!
«Es handelt sich um zwei völlig unterschiedliche Genres der Photographie. Ich erlernte sozusagen diese Profession zweimal. Auf der Straße wird das schrille, pulsierende Leben Berlins bei Tag und Nacht zu einer ständig sprudelnden Quelle meiner Inspiration.»
 

G. Schaefer - Trento - 2019.
 
Und beim Malen?
«Da ich bereits mit meinen Kameras das denkbar realistischste kreative Medium bediene, ist meine Malerei fast ausschließlich abstrakt.
«Im Gegensatz zur photographischen Arbeit, bei der ich oftmals von Models, Visagisten, Assistenten etc. umgeben bin, ergeben sich in der Malerei stillere, ruhige, ungestörte Arbeitsprozesse.
«Ich folge in meiner Malerei völlig dem spontanen freien Lauf der Fantasie. Farben, Formen, Kompositionen ergeben sich hierbei unmittelbar. Durch die Arbeit mit dem Pinsel schließt sich ein großer Kreis in meinem Gesamtwerk.»
 
Was ist mit Ihrer Familie passiert, als die Berliner Mauer errichtet wurde?
«Meine Familie in der DDR hat sich ideologisch in zwei feindliche Lager gespalten. Dies hatte ebenso dramatische Auswirkungen auf meinen Familienteil im Westen bei dem ich aufwuchs. Nach dem Mauerbau wurden die zwei nachfolgenden Generationen meiner Familie aus Ost und West zu Fremden. Meine Familie hat nie mehr wirklich zusammengefunden. Auch nicht nach fast dreißig Jahren.»
 

Melodie Duchesne by G.Schaefer© 2014.
 
Sie malten «Vaterland» unmittelbar nach dem Fall der Mauer; Welche Botschaft wollten Sie durch dieses berühmte Werk vermitteln?
«Die Flagge basiert auf dem Grundgedanken von Frieden und Einheit aller Völker. Sie ist eine Auseinandersetzung mit dem Erbe aller deutschen Generationen nach dem zweiten Weltkrieg. Sie ist ein Symbol des Vereinenden und aufeinander Zugehens. Ein Mahnmal gegen jegliche faschistische Tendenz.
«Reichskristallnacht: am 9. November 1938! Maueröffnung am 9. November 1989. Eine Zahlenmystik! Die Staaten Israel und Bundesrepublik Deutschland in der heutigen Form sind Folgeprodukte des zweiten Weltkriegs und die innerdeutsche Grenze / Berliner Mauer ebenfalls.»
 

Olga Cabrera by G.Schaefer ©2016.
 
Welche Bedeutung kann Ihrer Meinung nach heute der East Side Gallery beigemessen werden? Was repräsentiert dieses Museum unter freiem Himmel für die jüngeren Generationen, die die turbulenten Ereignisse dieser Zeit nicht miterlebt haben?
«In einer Länge von 1,3 km erzählt die East Side Gallery mit ihren Werken von Berliner und deutscher Geschichte. Sie ist ein besonderer Ort, an dem die Kunst Ausdruck geworden ist für ein Novum in der Historie, sie legt Zeugnis ab von einem geteilten und einem wiedervereinten Deutschland.
«Sie spricht von einem alten und einem neuen Berlin, von einem Eisernen Vorhang der den Globus in zwei gigantische Machtblöcke spaltete.
«Sie ist eine Stätte der Begegnung zwischen Berlinern und Besuchern aus aller Welt, die diese Stelle, gleich von welcher Seite, auch als Ihre ehemalige Grenze begreifen. Sie ist ein einzigartiger Bilderbogen der ein Zeichen setzt gegen die Unmenschlichkeit und auch deren Überwindung symbolisiert. Die East Side Gallery ist ein lebendiger Ort, eine aufregende Stätte in Berlin, an der sich viele Wege kreuzen und von dem aus Impulse für Frieden und Völkerverständigung in alle Welt ausgehen können und sollten.»
 

 
Sie sind viel gereist und haben Fotoausstellungen in der ganzen Welt organisiert. Gibt es von all Ihren Reisen irgendwelche, die besonders in Ihrem Herzen geblieben sind, und warum?
«Meine China-Exposition in Chengdu im Jahr 2018 ist mir in lebhafter Erinnerung. Es war ein besonderes Erlebnis mit welchem immensen Interesse sich das Publikum mit den Exponaten beschäftigte. Sehr emotional waren auch Begegnungen mit tibetanischen Besuchern die sich teilweise festlich in ihrer traditionellen Landestracht kleideten. Ich benötigte zirka 1 ½ Stunden um jeden Besucherwunsch zu erfüllen in punkto sich mit mir vor dem drei Meter hohen Mauerspringer -Photo portraitieren zu lassen. Dieses Bild war auch in der Exposition Muro al muro im April dieses Jahres im Palzzo Thun in Trento ausgestellt.»
 

 
Können Sie uns etwas über das wichtige Ereignis im Jahre 2004, die Ausstellung «Berlin - Bilder aus zwei Jahrtausenden», erzählen?
«Anlässlich der 15. Jahrestage der Grenzöffnung Ungarns und des Falls der Berliner Mauer offerierte mir die Botschaft der Republik Ungarn in ihren Räumlichkeiten eine große Einzelausstellung. Dr. Helmut Kohl Bundeskanzler a.D. eröffnete die Exposition.
«Mikós Németh Ministerpräsident Ungarns a.D., dem die Welt die Grenzöffnung zu verdanken hat, kam eigens aus Budapest angereist. Als Ehrengast besuchte der damals amtierende Präsident der Bundesrepublik Deutschland Horst Köhler ebenfalls die Ausstellung und verweilte lange Zeit über das offizielle Protokoll hinaus. Der Bundeskanzler und Bundespräsident erwarben einige meiner Werke.
«Zweifellos stellt diese Exposition ein Highlight in meinem persönlichen Schaffen dar.»
 
An welche der vielen Auszeichnungen, die Sie erhalten haben, erinnern Sie sich mit größter Zufriedenheit?
«Als eine besondere Auszeichnung empfand ich den Erwerb der Original-Vaterland-Flagge, ein Gemälde 175 cm x 110 cm auf Leinwand durch das Museum Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn.
«Zumal dieses Gemälde im Museum auch gezeigt wird und nicht nur archiviert wurde. Dieses Gemälde kreierte ich zum 9. November 1988 zum Gedenken an 50 Jahre Pogromnacht. Es stellt für mich persönlich eine besondere Würdigung durch mein Heimatland dar.»
 

 
Eine letzte Frage, woran arbeiten Sie derzeitig, was sind Ihre zukünftigen Projekte?
«Mein derzeitiges Photo-Projekt dass ich seit Herbst 2013 betreibe, fungiert unter dem Titel Ostkreuz Crossroads (Ostkreuz ist der Name des Kiezes in dem ich ansässig bin). Diese Arbeiten widmen sich Berliner Künstlern aus allen Kreativ-Bereichen. Hauptsächlich der Next Generation dieser Metropole. Sie stehen stellvertretend für die diversen Kunstszenen dieser Stadt aus dem Kreativ-Dreieck Friedrichshain, Kreuzberg und Neukölln Modell.
«Diese neue Avantgarde Kunstschaffender verlangt photographisch geradezu nach Farbe. Um diesem Aspekt gerecht zu werden, schloss ich als leidenschaftlicher Schwarzweiß-Photograph nach mehr als zwei Jahrzehnten wieder Frieden mit dem Medium Farbe. Ein weiterer inhaltlich wichtiger Bestandteil des aktuellen Konzepts ist die zunehmende Gentrifizierung, die unübersehbar auch von diesen Stadtteilen Besitz ergreift.
«Viele Beispiele aus der Nachwendezeit der 90iger und 2000er Jahre dienen als Exempel wie die rapide Gentrifizierung junge Kreativschaffende, die das Flair und das Straßenbild dieser Bezirke maßgeblich geprägt haben vom Turbo-Kapitalismus gesellschaftlich an den Rand gedrückt und letztendlich, einer existenziellen Problematik folgend, aus diesen Bezirken verdrängt wurden.
«Seit geraumer Zeit lässt sich diese Entwicklung tendenziell auch in den erwähnten drei Stadtteilen erkennen. Meine nächste wichtige Ausstellung wird im November dieses Jahres in Havanna / Kuba stattfinden.»

Daniela Larentis – [email protected]